Vor etwas mehr als 108 Jahren, genauer am 2. September 1907, rollte die erste elektrische Straßenbahn durch Potsdam. Bis dahin hatten Pferde das Ziehen der Wagen übernommen. Nun also elektrisch – und das nicht irgendwie. Als Residenzstadt der preußischen Könige und Kaiser konnte Potsdam natürlich nicht mit irgendwelchen Wagen Vorlieb nehmen, nein, wahre Luxuskarossen waren gefragt! Man fand sie in Ammendorf bei Halle an der Saale. Die dortige Waggonfabrik Lindner hatte bereits 1883 mit dem Bau von Straßenbahnwagen begonnen – zu diesem Zeitpunkt gab es in Potsdams Straßen noch nicht einmal Schienen.
Gottfried Lindner lieferte im Mai 1907 zwölf Triebwagen, die man in Potsdam sogleich mit den Nummern 1 bis 12 versah, und die erst einmal ohne Arbeit bleiben: die Bauarbeiten zur Elektrifizierung zogen sich hin. Am 2. September 1907 war es dann soweit, Oberbürgermeister Kurt Vosberg eröffnete im neu erbauten Depot in der Holzmarktstraße mit einem feierlichen Akt den elektrischen Straßenbahnbetrieb in der Stadt. Das Deutsche Reich feierte zugleich den sogenannten Sedan-Tag, welcher an die Kapitulation der französischen Armee am 2. September 1870 in der Schlacht bei Sedan erinnerte. Preußische, bayerische, württembergische und sächsische Truppen hatten den entscheidenden Sieg im Deutsch-Französischen Krieg errungen und den französischen Kaiser Napoleon III. gefangen genommen.
Was waren das für Fahrzeuge, die nunmehr durch Potsdams Straßen rollten. Die Holzbänke waren mit fein gewebten Sitzdecken behängt, die das Potsdamer Stadtwappen trugen, für die Innenverkleidung wurden nur edelste Hölzer verwendet. Die Decken waren mit aufwendigen Malereien geschmückt, die wasserspeiende Löwen und See- und Wasserpflanzen zeigten. Handgeschnitzte Löwenköpfe zierten auch die Fensterholme. Außen waren die Wagen elfenbeinfarben und mit rot-braunen und schwarzen Zier- und Absatzstreifen versehen. Auch hier prangte das Potsdamer Stadtwappen.
Oft umgebaut und über die Jahre ihrer luxuriösen Attribute beraubt, waren einige dieser Fahrzeuge noch bis zum Ende der 60er Jahre im täglichen Einsatz. Drei von ihnen hielten als Arbeitswagen sogar bis 1971 durch und wurden dann leider verschrottet.
Dass in Potsdam keines dieser Fahrzeuge überlebt hat, hat vor allem politische Gründe: nach dem Krieg galt es aus Potsdam eine sozialistische Stadt zu machen, in der die negativ besetzten preußischen Traditionen dem neuen, sozialistischen Leben weichen sollten. Deswegen wehrte sich die Führung der Verkehrsbetriebe bis zum Ende der DDR erfolgreich gegen den Erhalt historischer Fahrzeuge.
Im Jahre 2005 jedoch, man feierte das 125. Jubiläum des schienengebundenen Nahverkehrs in Potsdam, vermisste man einen Repräsentanten der ersten Jahre schmerzlich. Man war gezwungen, auf Fahrzeuge aus Woltersdorf und Berlin zurückzugreifen.
Aufgrund der große Begeisterung bei den Potsdamern suchte man nach einer Möglichkeit, historische Straßenbahntechnik präsentieren zu können. Die Idee eines Wiederaufbaus war geboren und mit ihr der Verein Historische Straßenbahn Potsdam e.V.
Als Glück im Unglück erwies sich die alte Güterlore mit der Nummer 311. Sie konnte als Grundlage für einen Wagen der ersten Generation genutzt werden, war sie doch selbst einst ein Wagen dieser Epoche gewesen. Im Jahre 2006 erhielt die Lore den Status als technisches Denkmal und der Wiederaufbau konnte tatsächlich beginnen. Fünf Jahre mühseliger Spendersuche (sowohl zur Finanzierung als auch für einzelne Teile), aufwendige Recherchen und europaweite Aufbauarbeiten waren zu bewältigen, bevor am 30. Mai 2011 der fast fertige Wagen Potsdam erreichte.
Am 4. August fuhr dieser erstmals aus eigener Kraft nach erfolgter Komplettierung der elektrischen Ausrüstung. Am 17. September 2011 wurde das Fahrzeug der breiten Öffentlichkeit vorgestellt und absolvierte seither bereits eine Reihe Sonderfahrten in der Stadt. Der Wagen kann zudem für besondere Anlässe gemietet werden.
Ein neues Projekt hat der Verein bereits geplant: ein Wagen aus der Epoche der Pferdebahn soll den historischen Zug komplettieren. Authentisch ist das auf jeden Fall, denn Wagen der Pferdebahn taten noch bis in die 1940er Jahre wertvolle Dienste als Beiwagen. Spender können sich gern an den Verein wenden.
http://www.historische-strassenbahn-potsdam.de
http://www.tram2000.de